Volvo Trucks wagt «den Sprung»
Volvo Trucks baut sein Angebot an batterieelektrischen Fahrzeugen Schritt um Schritt aus. Dank neuen Modellen mit einer Praxisreichweite von 300 km sieht sich der Lastwagenbauer bereit zum Sprung ins Massengeschäft – und lädt die Kunden ein, mitzuziehen.


Es ist Zeit, vom Reden zum Handeln überzugehen. Das war die Botschaft eines Online-Meetings von Volvo Trucks unter dem Titel «The Leap». Es ist Zeit, die Elektrifizierung des Strassengüterverkehrs ab sofort voranzutreiben. Die wichtigste Erkenntnis für Entscheider: Die Technik ist reif, den Sprung ins E-Zeitalter zu wagen, die Produkte sind da, sie können gekauft werden.
Volvo Trucks, der global zweitgrösste Lastwagen-Anbieter, beschäftigt gegen 60'000 Festangestellte. 44 % seiner Verkäufe erzielt Volvo in Europa, weitere 25 % in Nordamerika.
Volvo Trucks prognostiziert, bis 2030 die Hälfte der Neuverkäufe mit elektrischen Camions zu bestreiten, zehn Jahre später sollen keine Laster mehr mit Fossilantrieb verkauft werden.
Wir haben ein Interview anlässlich des Lancierungs-Events von «The Leap» mit Roger Alm, President Volvo Trucks und Jessica Sandström, Senior Vice President, Leiterin Productmanagement, geführt.
Für Aussenstehende mag es scheinen, als ob das Transportgewerbe noch ganz am Anfang der Elektrifizierung stünde, wie die Autobranche etwa in 2015: Man ahnte, Strom sei die Zukunft, aber weder die Kunden noch die Technik waren wirklich bereit. Stimmt der flüchtige Eindruck?
Jessica Sandström (JS): Es mag eine noch recht frühe Phase der Transition sein, doch es entwickelt sich in Höchsttempo. Das ist auch nötig, um die Klimaziele zu erreichen. Der Güterverkehr auf der Strasse macht 7 % der weltweiten CO2-Emissionen aus. Wenn unsere Branche handelt, dann erzielt sie eine grosse Wirkung.
Der Sprung ins Elektrozeitalter ist für manche unserer Kunden nicht leicht. Unsicherheiten bezüglich Reichweiten und Lademöglichkeiten lassen sie zögern, aber auch ökonomische Aspekte. Zur Reichweite: Die Modelle, die wir 2022 auf den Markt bringen, haben eine Reichweite von 300 km unter Last. Das deckt die Hälfte aller Transportaufgaben in Europa ab, in der kleinräumigen Schweiz dürfte es noch mehr sein.
Weil das «Betanken» (noch) viel Zeit erfordert, ist die Reichweite bei batterieelektrischen Fahrzeugen nun mal ein kritischer Faktor.
JS: Zurecht. Selbst wenn man die Reichweiten-Angaben unserer neuen Trucks hört, ist es für viele noch immer schwer vorstellbar, dass man diese Reichweite mit schwerer Last auch wirklich erreicht. Deshalb müssen die Transporteure dies selbst erleben. Deshalb ist es für Neukunden sinnvoll, schnell erste Erfahrungen zu sammeln, vielleicht mit «nur» einem LKW. Meist sind sie bald überzeugt und investieren weiter: Erstens kaufen sie mehr Trucks, zweitens installieren sie einen Schnelllader in ihrem Depot, um die Laster beispielsweise über Mittag zu laden. Das vergrössert die tägliche Reichweite nochmals deutlich.
JS: Dieser Prozess muss wohl jeder Kunde abarbeiten. Dabei kann er sich auf uns verlassen, darauf, dass wir im regen Austausch bleiben, dass wir gemeinsam mit ihnen die Planung verfeinern helfen. Für Neukunden ist der Kauf eines E-Trucks klar etwas anderes als einfach ein weiterer konventioneller Lastwagen.
Teil der Beratung bildet ein Software-Tool, das präzise vorhersagen kann, welche Leistung der E-Truck unter den gegebenen Bedingungen abliefert. Faktoren wie Topografie, klimatische Bedingungen und natürlich die Lasten fliessen in die Berechnungen ein. Es ist schliesslich in unserem Interesse, dass die ersten Erfahrungen unserer Kunden gut sind und damit Vertrauen in die Technik aufbauen.
Lassen Sie mich nochmals eine Parallele zur Autoindustrie ziehen: Hier ist der Druck hauptsächlich durch die europäischen CO2-Ziele entstanden. Aus welcher Richtung kommt Ihrer Meinung nach der Druck im Transportsektor?
RA: Der Wandel wird hauptsächlich von Ihnen und mir angetrieben. Wir wollen doch alle die Umwelt bewahren, für uns, vor allem aber für unsere Nachkommen. Ganz pragmatisch: Gelingt uns die Transformation nicht, könnte es sein, dass ich nicht mehr in mein geliebtes Zermatt fürs Skifahren reise, und ähnliche Wünsche haben wir alle. Deshalb ist die Forderung nach wirkungsvoller Klimapolitik ist in unserer Gesellschaft mehrheitsfähig. Es mag sein, dass wir auch mit neuen Umweltauflagen konfrontiert werden, aber der grösste Druck erfolgt durch die Endkunden auf die Transporteure und damit auch auf uns.
JS: Unseren Kunden sagen wir ganz klar: Legt jetzt los, in diesem Umbruch von Geschäftsmodellen ist es von Vorteil, früh vorne dabei zu sein. Und man lernt schnell, die eigenen Abläufe auf die neue Antriebsart auszulegen und zu optimieren.
Aber Sie bei Volvo rechnen auch mit Diesel-Fahrverboten?
RA: Verbote oder zumindest Einschränkungen sind zunehmend denkbar. In europäischen Innenstädten sind sie teilweise schon Realität. Vielerorts gibt es Umweltzonen, später folgen Verbote, wie in Amsterdam, wo ab 2030 der gesamte Verkehr emissionsfrei sein muss, der Gütertransport aber schon ab 2025. So hören wir von einem Kunden wie Ikea: Können wir unsere Endkunden nicht mehr erreichen, haben wir keine Online-Bestellungen mehr und damit sind wir weg vom Fenster! Deshalb will das Möbelhaus bis in gut vier Jahren 100 % ihrer Hauslieferungen elektrisch erledigen.
Ihre Prognose für E-Truck von Volvo lautet 50 % im Jahr 2030. Welche Unterschiede erwarten Sie in den Weltregionen?
JS: Den schnellsten Wandel erwarten wir in Europa, primär Europa nördlich der Alpen, aber auch in den USA. Doch auch anderswo kann die Politik Fördermittel freimachen, die den Wandel massiv beschleunigen würden. Unser Ziel von Volvo ist es, die Fahrzeuge startbereit zu haben, um von solchen Entwicklungen profitieren zu können.
Bei dieser Umstellung sieht man, wie sich unsere Absichten und die unserer Kunden verschränken. Diese Kunden haben für ihre weltweite Tätigkeiten Emissionsziele definiert und wir versuchen den Wandel auch dort zu ermöglichen, wo er aufgrund der Gesetze vor Ort noch nicht zwingend ist. Wir begeben uns auf eine gemeinsame Dekarbonisierungs-Reise.
Wie sieht die ökonomische Seite aus, wieviel Aufpreis zahlen die Kunden für einen E-Truck?
RA: Wie hoch ist der Aufpreis für den Schutz der Welt?
Die Kunden werden dennoch fragen: was kostet mich die Umstellung.
RA: Man kann die Kostenrechnung auf sehr unterschiedliche Art und Weise machen. Aber letztlich muss man die Gesamtkosten TCO im Auge behalten. Da sieht die Rechnung nicht schlecht aus. Wir glauben aber auch, dass der Schutz der Umwelt nicht gratis zu haben ist. Ich bin überzeugt, dass die Bürgerinnen und Bürger als Konsumenten auch bereit sind, einen gewissen Aufpreis in Kauf zu nehmen. Ausserdem wird der Unterschied bezüglich Kosten zwischen konventionell und elektrisch angetriebenen Trucks allmählich schwinden.
JS: In gewissen Märkten profitieren unsere Kunden von Subventionen. Das hilft. Mit der Zeit wird die Elektromobilität günstiger und damit weniger angewiesen auf staatliche Stützung. Ausserdem dürfte der CO2-Preis in der einen oder anderen Form weiter steigen. Wie auch immer die Rechnung im Detail aussieht, wir bei Volvo Trucks sind davon überzeugt, dass die Zukunft elektrisch ist.
Auch eine Schweizer Firma glaubt fest an die elektrische Zukunft. Designwerk mit der Elektro-Marke Futuricum, Spezialistin für Batteriesysteme und den (Um-) Bau von Elektro-Trucks. Sie sind mit 60 % bei den Schweizern eingestiegen. Was haben Sie mit der Firma vor?
RA: Wir glauben, dass dies ein sehr wertvolles Unternehmen ist. Derzeit besprechen wir gemeinsam, wie wir unsere Zusammenarbeit gestalten wollen.
Sind Sie primär am Know-how interessiert, oder könnte Futuricum als Marke weiterentwickelt werden?
RA: Das sind genau die Dinge, die wir derzeit prüfen und gemeinsam besprechen. Auf jeden Fall sehen wir Designwerk als einen Gewinn für uns.