Elektroautos: Hunderttausende Jobs auf dem Spiel
Die Transformation der Autoindustrie bietet neue Jobchancen, wird aber alleine in der europäischen Zulieferindustrie innert 15 Jahren rund eine halbe Million Arbeitsplätze auslöschen, besagt eine Studie. Schwierige Zeiten könnten auch auf die zahlreichen Produktionsstätten in Osteuropa zukommen.


Die Dekarbonisierung der europäischen Autobranche wird tiefgreifende Änderungen in der Arbeitswelt mit sich bringen. Wie eine Studie im Auftrag des Zulieferer-Verbandes Clepa aufzeigt, dürften sich viele der zahlreichen KMU unter den Zulieferern schwertun, eine Rolle in der neuen, elektrifizierten Welt zu finden.
Die Studie des Beratungsunternehmens PwC kommt zu folgenden Prognosen bezüglich des Wachstums- respektive Schrumpfungsprozesses:
- 226’000 neue Arbeitsplätze in der Produktion von EV-Antriebssträngen (unter der Annahme einer Batterieproduktion in der EU) bedeuten einen Nettoverlust von 275’000 Arbeitsplätzen (- 43 Prozent), der bis 2040 erwartet wird.
- 501’000 Arbeitsplätze bei Automobilzulieferern in der Produktion von Antriebskomponenten für Verbrennungsmotoren (ICE) werden voraussichtlich obsolet, wenn die Technologie bis 2035 ausläuft.
- Von dieser halben Million Arbeitsplätze werden 70Prozent (359’000) höchstwahrscheinlich in einem Zeitraum von nur 5 Jahren zwischen 2030 und 2035 verloren gehen, was den begrenzten Zeitrahmen für die Bewältigung der erheblichen sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen verdeutlicht.
- PwC schlägt vor, die Elektrifizierung durch einen gemischten Technologieansatz zu ergänzen, der die Nutzung erneuerbarer Kraftstoffe ermöglicht; dies könne bis 2030 eine 50-prozentige CO2-Reduzierung bewirken, während gleichzeitig Arbeitsplätze erhalten blieben und ein zusätzlicher Mehrwert geschaffen würde.
Der Automobilsektor ist für mehr als 5 Prozent der gesamten Beschäftigung im verarbeitenden Gewerbe in 13 EU-Mitgliedstaaten verantwortlich, wobei mehr als 60 Prozent dieser Arbeitnehmer bei Automobilzulieferern beschäftigt sind. Die Studie liefert eine europaweite Bewertung und zeigt die Risiken und Chancen in sieben wichtigen Produktionsländern für Automobilkomponenten (Deutschland, Spanien, Frankreich, Italien, Tschechien, Polen und Rumänien) auf.
Kapital als Flaschenhals für KMU
Während Automobilhersteller mehr Möglichkeiten haben, Aktivitäten zu veräussern oder auszulagern, um den Verlust von Aktivitäten im Antriebsstrangbereich zu kompensieren, können Automobilzulieferer viel weniger flexibel reagieren, da sie durch langfristige Verträge mit den Fahrzeugherstellern gebunden sind. Neben den globalen und gut kapitalisierten Branchenführern besteht der Sektor aus Hunderten von spezialisierten Unternehmen und KMU, die weniger Zugang zu Kapital haben, um in die Umgestaltung ihrer Geschäftsmodelle zu investieren.
Die Clepa, (European Association of Automotive Suppliers) liess von PwC drei Szenarien erarbeiten:
- Marktanteil von EVs bis 2030 von 80 Prozent entsprechend den aktuellen Vorstellungen der EU (Programm «fit for 55»)
- Eine radikale Elektrifizierung mit 100 Prozent EVs bis 2030
- Ein Ansatz basierend auf Technologieoffenheit, die zu einem Marktanteil reiner EVs von 50 Prozent bis 2030 hinausliefe
Die Studie prognostiziert, dass bei einem reinen E-Fahrzeug-Szenario 70 Prozent der Beschäftigungseffekte bereits im Zeitraum 2030-2035 spürbar sein werden, und untermauert, dass die Chancen für Elektrofahrzeuge vom Aufbau einer umfassenden EU-Batterielieferkette abhängen, deren Zeitpunkt und Wahrscheinlichkeit noch ungewiss sind. Die westeuropäischen Länder scheinen am besten positioniert zu sein, um Hochburgen in der Produktion von Elektrofahrzeugen zu sein, während die Beschäftigung in den mittel- und osteuropäischen Ländern weiterhin stark vom Verbrennungsmotor abhängen wird.
Henning Rennert, Partner bei PwC Strategy& Deutschland: «Während die Elektrifizierung einerseits die Beschäftigung im Bereich Antriebsstrang gefährdet, werden in Zukunft andere Qualifikationen der Arbeitskräfte in Bereichen wie Software oder Infrastruktur benötigt. Die künftige Wertschöpfung und Schaffung von Arbeitsplätzen im Bereich der Antriebstechnologien hängt entscheidend von der lokalen Batterieproduktion in Europa ab.»
Die Batterien sind matchentscheidend
Die Studie zeigt, dass bis zu 70 Milliarden Euro (70 Prozent) der Wertschöpfung im Zusammenhang mit elektrischen Antrieben mit der Verarbeitung von Batteriematerialien, der Produktion von Batteriezellen und -modulen sowie der Montage von Batteriesystemen verbunden sein werden. Es sei anzunehmen, dass diese Aktivitäten nicht unbedingt in denselben Unternehmen oder Regionen stattfinden werden, da sie im Vergleich zur konventionellen Antriebstechnologie deutlich andere Fähigkeiten und Fachkenntnisse erfordern und daher den meisten antriebsorientierten Automobilzulieferern, insbesondere kleinen und mittleren Unternehmen, die rund 20 Prozent der Beschäftigten in der Automobilzulieferindustrie beschäftigen, kaum Chancen bieten dürften. Frühere Untersuchungen von Clepa haben gezeigt, dass die Batterieproduktion relativ viele Arbeitsplätze für akademisch ausgebildete Arbeitnehmer bietet, aber weniger für die Arbeiter in mechanischen Berufen, die jetzt Teile für den Verbrennungsmotor herstellen.
Die Clepa erhofft sich von der EU-Politik, dass sie Technologieoffenheit zulässt. Das solle insbesondere durch eine stärkere Berücksichtigung der gesamten CO2-Belastung (Well-to-Wheel). Damit verbunden sieht der Verband Chancen für synthetisch hergestellte Treibstoffe, die dann aber auch als klimaneutral taxiert werden müssten.
Zeit für die Umstellung
Dazu Sigrid de Vries, Generalsekretärin der Clepa: «Technologieoffenheit verschafft der Industrie die nötige Zeit für den Übergang und mildert gleichzeitig die oft mit abrupten Veränderungen einhergehenden sozialen Verwerfungen ab, ohne die berechtigten Klimaziele zu gefährden. Ein geplanter und durchdachter Übergang, der aus einem gemischten Technologieansatz besteht, hält Optionen offen, um sich an neue Entwicklungen anzupassen, seien es technologische Durchbrüche, geopolitische Ereignisse oder die Verfügbarkeit von Ressourcen, und bietet gleichzeitig erhebliche Wertschöpfungsmöglichkeiten in der Automobilindustrie.»